Interaktion |
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| In der Zusammenarbeit
von Künstlern, Studierenden und Schüler/innen trafen verschiedene
Arbeitsstile, Wissensbestände, kultursprachliche Unterschiede, Alltagsgewohnheiten,
kulturelle Werte und persönliche Wichtigkeiten aufeinander. Das Projekt
brachte damit gesellschaftliche Gruppen zusammen, die ansonsten kaum in
Kontakt miteinander treten. Auf der einen Seite die Studenten in ihren universitären
Zusammenhängen, auf der anderen Seite die Schüler, von denen kaum
jemand weiss, was eine Universität eigentlich ist. In einer Projektwoche machten die Studierenden mit den Schülern der Oberschule am Brunnenplatz eine Exkursion an die Humboldt-Universität. |
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FILM:
Besuch an der Uni |
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Während
des Projektes führten die Studierenden ein Feldtagebuch, machten
sich Notizen und schrieben kurze Essays. |
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| An die eigenen
Grenzen stoßen – Die Autoritätsfrage Viktoria Gabrysch „Im Feld“ erwartet einen vieles. Doch es gibt Dinge, mit denen man bei noch so sorgfältiger Vorbereitung nicht rechnet. Das muss nicht unbedingt von den äußeren Umständen oder den Akteuren ausgehen. Es kann auch ganz allein mit einem selbst zu tun haben. An einem Mittwoch gingen wir mit den Schülern in unsere Universität. Sie sollten einen Ort erkunden, den sie noch nicht kannten. Auf dem Rückweg sagte Fatma, eines der Mädchen, auf einmal, sie würde nicht mit zurück in die Schule gehen, sondern gleich nach Hause fahren. Ich musste sie im ruhigen Ton, jedoch mehrmals darauf hinweisen, dass dies nicht ginge. Ich nahm ihre Andeutungen nicht wirklich ernst und war mir sicher, sie würde auf mich hören. Doch dann mussten wir am U-Bahnhof Pankstraße zehn Minuten auf sie warten, weil sie sich dazu entschieden hatte, einen anderen Ausgang zu nehmen. Einfach so. Zunächst schüttelte ich nur den Kopf, als ich sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah. Sie brauchte aufreizend lange, um wieder zu uns herüber zu kommen. Bei ihrem Eintreffen auf unsere Straßenseite, machte ich ihr eine kurze Ansage, dass ich das nicht in Ordnung fände und sie ebenso Verantwortung für die ganze Gruppe trüge. So weit so gut. Wir liefen in zweier Gruppen zum Schulgebäude. Ich passierte auf dem Weg eine ältere Dame, die offensichtlich große Mühe hatte, sich auf dem verschneiten Bürgersteig fortzubewegen. Als ich in der Schule auf meinen Kommilitonen Marius traf, war dieser völlig aufgebracht. Er erzählte mir, dass er an der ältere Dame von vorhin vorbeigelaufen war und diese Tränen in den Augen und das Gesicht voller Schnee hatte. Wer war vor ihm gelaufen? Mohamed und Ali, zwei Jungs aus unserer Gruppe. Vor dem Klassenraum entfachte sich eine heftige Diskussion. Marius fing an laut zu werden. Ich bemühte mich, die Situation zu beruhigen. Ich versuchte etwas ruhiger auf Ali, der es gestanden hatte, einzureden: „Stell dir vor, jemand würde das mit deiner Oma machen! Wie würdest du dann reagieren?“ Ali antwortete nicht und schaute nur auf den Boden vor sich. Damit wollte ich das Thema eigentlich abgehakt haben. Da der Klassenraum noch nicht aufgeschlossen war, entschieden wir uns kurzerhand, das Abschlussgespräch im Flur zu halten. Rainer, der Künstler, hatte gerade zu sprechen begonnen, da war unsere Gruppe schon wieder unruhig. Serkan und Ümit unterhielten sich drei Meter weiter. Nun platzte mir der Kragen. Ich holte tief Luft und ging auf die Schüler zu. Im Nachhinein wohl eher gesagt: ging auf die Schüler los. Ich erhob meine Stimme so sehr, dass ich anschließend Halsschmerzen hatte. Ich schrie regelrecht: „Das kann doch wohl nicht wahr sein, wie ihr euch hier benehmt! Es kann nicht angehen, dass wir (an Fatma gerichtet) zehn Minuten auf jemanden warten müssen, dass gequatscht wird (an Serkan und Ümit gerichtet), wenn wir eine Besprechung halten wollen UND (meine Stimme wurde immer lauter, als ich mich zu Ali und Mohamed wandte) es kann nicht angehen, dass man einer Oma Schnee ins Gesicht wirft!“ Ich war so sehr in Rage, dass ich mich überhaupt nicht beruhigen konnte. Tja, nun war ich ausnahmsweise mal „der böse Cop“. Die Kinder waren alle ruhig. Einige starrten auf den Boden. Vor Scham? Nach meiner Predigt kam die Lehrerin und schloss den Raum auf. Wir gingen hinein und führten die Abschlusssitzung durch. Ich war so sehr von mir selbst erschrocken, dass ich keinen Ton mehr herausbrachte. Den restlichen Tag über machte ich mir Vorwürfe. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, mit den Jugendlichen auf einer Wellenlänge zu sein. Auch wenn ich wesentlich älter war als sie, so hatte ich immer den Status der „Sie-ist-eine-von-uns“. Und auf einmal wendete sich das Blatt. Mir kam die Frage: Wie viel Autorität braucht es in diesem Feld? Ich bin schließlich keine Lehrerin. Aber ich bin auch definitiv keine Schülerin. Ich trage die Verantwortung für die Jugendlichen. Aber ich möchte auch ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen. Ich bekam ein sehr schlechtes Gewissen und hatte Angst, versagt zu haben. Ich hatte „meine Babies“ angeschrien! Würden sie mich jetzt hassen? Daraufhin rief ich Studienkollegen, Freundinnen, ja sogar meine Mutter an. Alle beruhigten mich und sagten, wenn ich wolle, könne ich mich ja bei den Kids entschuldigen. Gesagt, getan. Vor Anbruch des nächsten Projekttages saßen wir in der Gruppe beisammen. Ich nahm das Wort an mich und sagte: „Ich wollte mich noch mal bei euch für meinen Ton gestern entschuldigen. Ich war einfach nur sehr enttäuscht von euch, weil ihr so gut gearbeitet hattet und dann so eine Scheiße gebaut habt.“ Alle lächelten mich an. Ich wollte gerade fortfahren, da unterbrach mich Ümit mit einer großen Umarmungsgeste und mit den Worten: „Nein, Mann, es hat mir gefallen!“ Ich stockte und musste ebenfalls anfangen zu grinsen. |
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Ein
Tag an der Uni Marius Mailänder „OK, und wie stellt ihr euch die Uni eigentlich vor?“ „Hmm, auf jeden Fall größer als die Schule, aber keine Ahnung.“ Es ist Mittwoch, der dritte Tag der Projektwoche, und wir stehen kurz davor, mit einer sechsköpfigen Schülergruppe in Richtung Humboldt-Universität aufzubrechen. In der Vorbereitung, einen Tag zuvor, haben die Schüler noch Fragen zur Uni gesammelt, den einzelnen Fächer und ganz allgemein über das Studentenleben: „Ist das da sehr schwierig?“, „Welche Fächer habt ihr?“, „Wie lange machst du das schon?“, „ Was macht man damit mal?“, „Habt ihr auch eine Klingel an der Uni?“, „Gibt's dafür Geld?“ Als erste Station steuern wir direkt das Grimmzentrum, die neue Zentralbibliothek der HU an. Wir führen sie flüsternd durch die Gänge. Die Schüler sind von der Größe des Gebäudes, der repräsentativen Architektur und der schieren Masse von Büchern sehr beeindruckt. Noch viel mehr fasziniert sie aber die Tatsache, dass „hier alles so frei rumsteht“. „Hier passt ja gar keiner auf... Kann man die einfach so nehmen, die Bücher?“ Ratlose Blicke. Yussuf zieht zur Probe eines der Bücher aus einem Regal. Eine dicke Staubschicht liegt auf dem dicken, alten Wälzer. Er braucht nur den Bruchteil einer Sekunde um zu begreifen, welch verlockende Möglichkeiten dieses verstaubte Buch bietet. Mit dem Überraschungsmoment auf seiner Seite bläst er Nader eine dicke Staubwolke ins Gesicht. Alle sind amüsiert, nur einige der Bibliotheksbenutzer nicht. Pssst. Wir verkneifen uns das Lachen, und wollen weiter, aber natürlich muss Nader erst noch Rache üben und Yussuf mit einem weiteren Buch einstauben. Gekicher. Pssssst. Der Weg zum Ausgang führt uns im Erdgeschoss durch die mit Sesseln und Sofas ausgestattete Lounge, in der zur allgemeinen Begeisterung zwei Bibliotheksbenutzer eine Schlafpause eingelegt haben. „Man kann hier schlafen? Ist das erlaubt? Krass!“ Sofort schmeißen sich zwei der Schüler auf freie Sessel und imitieren das Beobachtete. Schnarchend und kichernd natürlich. Sie stellen auch Theorien auf, warum die Studierenden hier schlafen müssen: „Die lernen so viel und das macht ja dann voll müde“. Alle stimmen zu, so wird es sein. Wir verlassen die Bibliothek und ziehen weiter. Wir haben die Schüler an diesem Tag durch die verschiedenen Etagen und Räume des Instituts für Europäische Ethnologie geführt. Sie haben engagiert Interviews geführt und Beobachtungen aufgezeichnet. Die größte Begeisterung löste aber Felline, die Hündin einer Institutsmitarbeiterin, aus: „Was? Hunde dürft ihr hier auch noch haben?“ |
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